
Wenn mich früher jemand nach meinem Traumjob gefragt hat, antwortete ich manchmal: „Ich gründe eine eigene Sekte.“ Gar nicht um eine Machtposition auszunutzen oder so. Höchstens ein bisschen. Ist doch bei jeder Führungsposition am Ende des Tages so: Schönstes Büro, Mittagessen und anderer Kram auf Firmenkosten. Chef eben.
Ob Sekte oder Firma: Chefklischees a la Hollywood haben sich bei mir eingebrannt. So ist das, wenn man gefühlt zwei Drittel seines Lebens vor dem Fernseher verbracht hat. Ich sah mich schon in einem schicken Glaskasten-Eckbüro mit Blick auf den Central Park die neuesten Feiertage meiner Untergebenen austüfteln. Auf dem ausladenden Schreibtisch nicht nur eine goldene Büste von mir selbst, sondern auch von Pinky und Brain, den legendären Zeichentricklabormäusen, die im TV-Programm der 90er jede Nacht nur ein Ziel verfolgten: Die Weltherrschaft an sich zu reißen.
Spätestens jetzt wird klar, dass der Fernseher in meiner Kindheit ein enger Freund war und Realität und Fiktion nur Namen für ein und dasselbe waren: meine Welt. Doch ich bin älter geworden und mein Fernsehkonsum hat sich auf fast Null reduziert. Ich habe in diesem Leben wohl genug davon geschaut. Eine eigene Sekte möchte ich auch nicht mehr.
Eine Sekte ist eine Glaubensgemeinschaft, die sich von einer größeren Gemeinschaft abgespaltet hat. Ich will mich von nichts und niemanden abspalten. Gibt nur Ärger. Soll heißen: Ich gründe meine eigene Religion! Bähm! Ich sag´s Euch, das wird richtig nett! Wir feiern Schreinachten (alle, die jetzt „Hä?“ denken, lesen bitte Kolumne Nr. 1), stellen goldene Miniatur-Labormausbüsten auf unsere Hausaltäre, bringen Licht und Liebe unters Volk und natürlich kassiere ich… äh… kassieren wir Kirchensteuer. Der ganze Spaß inklusive Blick auf den Central Park muss ja bezahlt werden. Eigene Tempel müssen auch her. Gerne ungenutzte Kirchen. Ich steh auf alte Gemäuer und Kirchen sind voll meins. Aber so mit schmucker Glasfensterkunst und schön viel Gold und so.
Stopp. Ich merke es selbst. Das würde alles ausarten. Manno, da stehe ich einmal in einer brechend vollen Kirche (Mit bunten Glasfenstern!) am Rednerpult und schon überkommen mich im Nachgang wilde Ich-gründe-meine-eigene-Religion-und-wenn-es-passt-reiße-ich-die-Weltherschaft-an-mich-Fantasien. Was stimmt nicht mit mir? Vielleicht, weil an diesem Tag einmal alles stimmte. Weil auf einmal alles einen Sinn ergeben hat. Alles - und da war echt viel Scheiße dabei - was mich die letzten Jahrzehnte zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin, hat verdammt noch mal Sinn ergeben. Ich habe eine Trauerrede für den Opa meiner Kinder gehalten. Ohne Partyhöschen (bei Hä? bitte Kolumne Nr. 2 lesen). Familie, großer Freundeskreis, Nachbarn, Weggefährten von überall her: extrem viele Menschen. Da man mich vor ein paar Jahren noch gut als Klageweib bei Beerdigungen hätte einsetzen können, war meine größte Sorge, dass niemand ein Wort versteht, weil ich beim reden durchheule. Ist nicht passiert. Hab endlich mal was nach Plan durchgezogen.
Ein würdiger Abschied für jemanden, den meine Kinder sehr lieben (ja, Präsens, für mehr Tiefgang lest meine kommende Heilige Schrift). Mir wurde anschließend von vielen Trauergästen gedankt. Sie waren gerührt, getröstet, nachdenklich im positiven Sinne. Und ich weiß: Nur eine kleine Abweichung in den letzten Jahrzenten und ich wäre nicht die Person, die die richtigen Worte für diesen traurigen Anlass gefunden hätte.
Dieser Tag hat viel in mir bewegt und wird Konsequenzen nach sich ziehen. Bleibt also dran, wenn es wieder einmal heißt: Oh Gott, das hat sie nicht wirklich gemacht?! Ich poliere derweil meine Labormausbüsten und leite alles in die Wege. Ganz unschuldig und ohne Machtfantasien. Die Herrschaft über meine eigene kleine Welt an mich zu reißen genügt mir. Fürs erste (hier schurkisches Lachen einfügen). To be continued…

Luci ist passionierte Kaffeetrinkerin, Reiki Meisterin und legt gerne Obst in Mandala Formen. Vor allem überzeugt sie regelmäßig ihre Instagram Follower mit humorvoll-tiefgründigen Texten über die Lästigkeiten die das Leben so mit sich bringt. Mehr auf ihrem Account @leftover_rainbow
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