Thomas Müller ist Wirtschaftsförderer in Weinstadt im Remstal, sozusagen der Unternehmer in der Stadtverwaltung. Und, er ist von ganzem Herzen ein echter Stadtliebhaber! Seit über zwanzig Jahren ist er in und für Städte aktiv. Die sogenannte europäische Stadt – kompakt, vielfältig, mit Markt und Mitte, wo vieles passiert und stets Neues entsteht – ist sein Ideal von Leben, Wohnen, Arbeiten und Machen in der Stadt. Mit dieser Intention war er die letzten Jahre in mehreren Städten als Citymanager tätig. Ein Citymanager ist Kümmerer, Kommunikator und Koordinator für lebendige Stadt- und Ortsmitten. „Miteinander mehr möglich machen“ war stets seine Maßgabe, wenn es galt etwas in Bewegung zu bringen und nachhaltig Wirkung zu erzielen. Immer mit dem „Mensch als Maß“, wie der ehemalige Kopenhagener Stadtplaner und Architekt Jan Gehl das so schön auf den Punkt bringt.
Wie genau kann man sich einen Arbeitsalltag von einem Citymanager/Wirtschaftsförderer vorstellen?
Vielfältig. Bunt. Nah bei den Menschen. Mit Liebe zur (Innen-)Stadt.
Was genau ist dein Aufgabengebiet?
„Genau“ geht eigentlich nie, dafür ist jede Stadt, jeder Standort, jede City zu besonders, zu einzigartig. Ein Wirtschaftsförderer schafft für eine starke, erfolgreiche und lebendige Wirtschaft in der Stadt. Ich bin Kümmerer für die Unternehmen wenn es um Flächen- und Raumbedarfe geht, wenn Fördermittel akquiriert werden sollen und wenn die Betriebe individuelle Herausforderungen haben, bei denen sie die Unterstützung der Stadtverwaltung benötigen. Ich bin auch Standortmarketingmacher um den Wirtschaftsstandort attraktiv und anziehend zu kommunizieren und zu präsentieren, damit Unternehmen ihren Standort nach Weinstadt verlegen oder damit Arbeitnehmende die Stadt im Blick haben wenn Sie sich nach einem neuen Arbeitgeber umschauen und positive Impulse für einen Jobstart hier im und für einen Umzug ins Remstal bekommen.
Als Citymanager war ich in anderen Städten – z.B. in Esslingen und Mühlacker – aktiv und engagiert für eine starke, erfolgreiche und lebendige Innenstadt. Da lag ein Augenmerk auch auf den Fachgeschäften, Gastronomie- und Dienstleistungsbetrieben in der Stadtmitte. Weil eine Innenstadt aber nicht nur Einkaufszentrum sondern auch Marktplatz, Kunstraum, Spielplatz, Bühne, Laufsteg, Treffpunkt und vieles mehr ist, war ich dort viel mehr „Miteinander-mehr-möglich-Macher“ um die City attraktiv, aufenthaltsstark und anziehend für Kunden, Gäste, Besucher und Bürgerinnen zu machen. Jetzt in Weinstadt – eine 27.000 Einwohnerstadt mit fünf Stadtteilen – ist das Citymanagement viel eher Stadtteilmittenbelebung – alles eine Nummer kleiner, aber genauso wichtig.
Woher kommt deine Faszination zu Städten?
In Städten hat man schon immer vieles miteinander gemacht, miteinander gelebt, miteinander geschafft. Städte waren schon immer Orte des Austauschs – von Waren, von Informationen, von Gefühlen, von Wissen und vielem mehr.
In Städten ist das Leben und sind die Menschen immer in Bewegung. Dadurch entsteht stets Neues, hier kann vieles probiert werden, dort ist „Veränderung das Prinzip“.
Diese Entwicklung mitzugestalten, mit so vielen Menschen zusammenzuarbeiten und jeden Tag eine neue (Innen-)Stadt zu entdecken und zu erleben, das ist die Faszination für mich.
In welche Richtung geht derzeit die Entwicklung von Städten?
In Zukunft wird wieder viel mehr der Mensch das Maß in der Stadt, besonders in der Innenstadt, sein. Vor allem die deutschen Städte wurden nach dem Krieg rund um und für den Mensch im Auto gebaut.
Mehrere große europäische Städte wie z.B. Kopenhagen, Amsterdam, Paris oder Ljubliana sind herausragende Beispiele, dass insbesondere die Innenstädte keine Parkplätze sondern Lebensräume sein müssen, so dass die Menschen weiterhin Handel und Gastronomie, Kunst und Kultur, Wohnen und Leben erleben, nutzen und genießen können.
Spannend – und m.E. noch sehr ungewiss – ist es, ob sich der Zustrom in die Städte vom Land her fortsetzt oder ob die Menschen wieder das Leben auf dem Land dem eher teuren, verdichteten und aktuell noch vielfach klimaunfreundlichen Leben in der Stadt vorziehen werden. Städte können zukünftig Booster auf dem Weg zur Klimaneutralität werden, denn was in Städten passiert, multipliziert sich in seiner Wirkung. Und das Leben auf dem Land ist wegen der schwach ausgebildeten Infrastruktur, einer fehlenden Verdichtung und der dadurch notwendigen längeren Versorgungswege nicht unbedingt klimaschonend.
Was hat sich seit Corona in den (Innen-)Städten verändert?
Handel ohne Alleinstellungsmerkmal, ohne attraktive Angebote und ohne sympathischen Service ist nahezu verschwunden aus den Innenstädten. Und das ist auch gut so.
Das bringt erstmal Leerstand mit sich, das ist aber gleichzeitig Freiraum für neue Nutzungen und so eben für zusätzliche Frequenz in den Mitten. Spannende Konzepte sind in der City entstanden, so z.B. Mixed-Use-Konzepte, wo z.B. Manufakturen mit Gastronomie, mit Shop und Workshopangeboten vielfältige Angebote ermöglichen. Pop-Up-Stores kamen (und gingen) und machten Innenstädte zum Labor und zum Versuchsraum. Und in ehemaligen Kaufhäusern entstehen derzeit mehrfach spannende Nachnutzungen – mit Boulder-Center, Stadtbibliothek, Stadtverwaltung-Offices, Shop in Shops, innovativer Gastronomie und vielem mehr – nicht überall die gleiche GALERIA, sondern in jeder Stadt individuell für die Menschen in der Stadt.
Was macht für dich eine (Innen-)Stadt mit Lebensqualität aus?
Wenige parkende Autos, dafür mehr sich bewegende und fröhliche Menschen.
Grüne Wiesen, blühende Pflanzen und fließendes Wasser statt zu viel versiegelter Flächen.
Menschen, die in einer Innenstadt verweilen wollen, sich mit anderen treffen wollen anstatt für einen Einkauf nur rasch ran, rein und raus fahren möchten.
Spielende Kinder, fröhliche Senioren und entspannte Personen mit Handicap, die ungezwungen, sicher und selbstbewusst mobil sein können.
Nutzungen und Angebote, die stadttypisch und einzigartig sind, statt Einkaufsstraßen, die von Franchise und Filialisten geprägt und austauschbar sind.
Andere Länder andere (Innen-)Städte, gibt es da Unterschiede?
Ja, in Deutschland wird – leider immer noch – zuerst an die Erreichbarkeit mit dem Auto gedacht. Wo Autos fahren und parken entsteht aber kein Wohlfühlort, keine Aufenthaltsqualität. Dadurch reduziert sich die Verweildauer, erhöht sich die versiegelte Fläche, wird mehr Lärm und werden mehr Abgase produziert.
Ljiubliana hat seine Innenstadt autofrei gemacht. In Rotterdam haben Fußgänger, Radfahrerinnen, Auto- und Straßenbahnverkehr eigene Wege, eigene Ampeln und sind gleichberechtigt.
Paris lässt die Menschen an der Seine wieder flanieren wo früher Autos fuhren, erhöht die Parkgebühren für große Fahrzeuge und schafft eine eigenen Radinfrastruktur. In Kopenhagen gibt es Fahrradbrücken und breite Radspuren, die den Radverkehr sicher fließen lassen.
Demgegenüber gibt es aktuell Forderungen nach kostenlosen Parkplätzen bzw. Flatrate-Parken in den Innenstädten und kassiert die neue Senatsregierung in Berlin viele Radverkehrsprojekte zugunsten des Autoverkehrs. In Deutschland hält sich bei vielen Einzelhändlern weiterhin die Vorstellung, dass Kunden mit dem Auto mehr Umsatz bringen. Das Gegenteil ist der Fall.
Was brauchen deiner Meinung nach die Städte von morgen?
Die Städte brauchen gute Stadtplaner und gute Stadtentwicklerinnen, die Städte – gemäß der Neuen Leipzig-Charta – gemeinwohlorientiert, gerecht, grün, produktiv und digital planen und bauen.
Die Städte brauchen mehr Bürger- und Akteursbeteiligung, so dass Städte für die Menschen in der Stadt gestaltet werden.
Die Städte brauchen mehr Citymanager – ja, vielleicht sogar Transformationsmanager, die sich um die Vielfalt kümmern, diese koordinieren und die Besonderheiten, Talente und Stärken der Städte kommunizieren.
Oder anders gefragt, was macht für dich eine perfekte Stadt aus?
Eine Stadt mit ganz viel Lebensqualität
Was haben wir Ottonormal-Bürger daran für einen Anteil und was können wir für unsere Städte tun?
Ottonormal-Bürger sollten, wenn sie ihre Stadt genauso lieben, aktiv werden. Einfach so in der Nachbarschaft oder im Quartier. Miteinander mehr möglich machen. Und wenn sie noch mehr Lust haben, dann sollten sie die Innenstadt, die Mitte, den Markt beleben und bespielen – mit Musik, mit Kunst, mit Kultur, mit ihrer Anwesenheit, mit Freunden, mit Ideen … und das gerne jeden Tag anders.
Was gar nicht geht, das ist Abwarten oder Kritisieren oder Nörgeln. (Innen-)Städte brauchen mutige Menschen, inspirierende Impulse und tatkräftiges Tun.
Welche Stadt ist deine Lieblingsstadt und warum?
Weinstadt – weil ich sie seit 20 Jahren mitgestalte … und auch in Zukunft mitgestalten werde und natürlich weil es kein schöneres Tal wie das Remstal und keinen besseren Wein wie den Remstäler – vor allem Weinstädter – Wein gibt
Mannheim – weil ich drei meiner spannendsten Jahre während meines Studiums dort verbracht habe
Leipzig – weil ich hier Stadtentwicklung lieben gelernt habe
Kopenhagen, Rotterdam, Amsterdam, Paris, Wien, Ljubliana – weil es Städte sind, in denen der „Mensch das Maß“ geworden ist
Mühlacker, Ebersbach an der Fils, Esslingen, Filderstadt und Ditzingen – weil ich hier Stadtmacher und Citymanager sein durfte und ich mit den Städten viel Gutes verbinde und auch dort noch so einige Menschen viel Gutes mit mir verbinden
.Und viele andere Städte... Thomas, vielen Dank für das tolle Interview!
Thomas hat BWL und Marketing studiert, gründete 2000 ein Unternehmen, anfangs eine Eventagentur, dann ein Kommunikationsbüro und machte in Urban Management / Stadtentwicklung den Master in Leipzig - nach der Wende übrigens DIE Vorbildstadt für moderne Stadtplanung. Als „cityMüller“ ist er neben seiner Tätigkeit als Wirtschaftsförderer als Impulsgeber und Umsetzungspartner für Städte und Innenstädte im Citymanagement und Stadtmarketing tätig.
Die Bildrechte liegen alle bei Thomas Müller
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